Zinédine Zidane

Im Fernsehen spielt gerade Real Madrid gegen den FC Valencia. Der Trainer der Königlichen ist nach seinem Abschied im Mai 2018 mit dem dritten Champions League Titel nacheinander nur neun Monate später überraschend wieder auf den Trainerposten bei Real zurückgekehrt.

Erinnerungen… an Zinédine Zidane.

Auf dem Trainingsgelände von Real Madrid hat Adidas im November 2005 seine Superstars versammelt, um mit deren Präsenz der Fußball-Welt die neuesten Trikots, Schuhe und sonstige Accessoires des Sportartikelherstellers vorzustellen.

Ich bin gerade vor ein paar Tagen aus dem Krankenhaus entlassen worden, in dem ich acht lange Monate behandelt werden musste und bin deshalb umso dankbarer für diese attraktive ZDF-Dienstreise in die spanische Hauptstadt.

Wegen meiner guten Spanischkenntnisse, aber sicher auch, um mich nach der langen Zeit in der Klinik wieder als Sportjournalisten in meine berufliche Welt zurückzuführen, hat mich meine Redaktion für diese äußerst elitäre Interview-Serie besetzt.

Bei deutlichen Minusgraden sendet eine fahle Wintersonne ihre silbernen Strahlen über die Häupter der fröstelnden Weltstars und nebenbei auch über die Häupter einer Gruppe von rund 100 ausgewählten Pressevertretern, denen zugesagt worden ist, mit einigen der auserkorenen Spieler kurze Interviews zu führen.

Der Portugiese Simao ist da und Kaka, der Brasilianer, außerdem Xavi vom FC Barcelona und Xabi Alonso vom FC Liverpool. Und natürlich das kaum mehr zu übertreffende Dreigestirn von Real Madrid: Raúl González, David Beckham und Zinédine Zidane. Nachdem sich die Spieler eine gute halbe Stunde lang in den neuen Trikots die neuen Fußbälle hin und her gespielt haben, kommt zunächst die schreibende Presse zu ihrem Recht, dann die Radiosender, bevor sich schließlich die ersten Stars langsam in Richtung der streng nebeneinander platzierten Fernsehkameras bewegen.

Mein Kameramann und sein Assistent haben in einem naheliegenden Geräteraum einen kleinen Holzstuhl gefunden, auf dem mein jeweiliger Interviewpartner Platz nehmen kann, um mit mir in meinem Rollstuhl auf gleicher Höhe zu sein.

Von den damals geführten Interviews kann ich mich heute nur noch an vier genauer erinnern: An das mit Xabi Alonso, von dem ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen kann, dass er 2014 zu Bayern München wechseln und dort einer der Topstars und dreimal Deutscher Meister werden wird, an das mit Raúl, von dem ich damals natürlich ebenso wenig ahnen kann, dass er 2011 meinen Kindheitsverein, den FC Schalke 04, bis ins Halbfinale der Champions League führen wird, dann auch an das mit David Beckham, der sich wie ein kleiner Junge riesig zu freuen scheint, in der großen weiten Fußball-Welt bei den Königlichen spielen zu dürfen.

Und mit Abstand am deutlichsten erinnere ich mich an das Gespräch mit Zinédine Zidane, dessen ungeheuer große Ausstrahlung ich schon bei der kurzen, aber herzlichen Begrüßung einmal mehr spüre. Einmal mehr?! Ja, denn aus einigen Interviews im Vorfeld und dann bei der EM 2004 in Portugal kennen wir uns einigermaßen gut.

Obwohl Zidane, Sohn aus Algerien eingewanderter Eltern, ein sehr stark gefärbtes Französisch des Südens spricht, das er in den Schulen und den Hinterhöfen von Marseille gelernt hat, sind die Antworten trotz seines überschaubaren Wortschatzes informativ und intelligent.

Natürlich kommt auch Frankreichs geliebter und verehrter ‚Zizou‘ nicht ganz ohne die bei Fußballer-Interviews gängigen inhaltsarmen Floskeln aus. Aber als er sich am Ende mit der Hand auf meiner rechten Schulter und einem „A bientôt, j’espère“ (hoffentlich bis bald) in die Umkleideräume verabschiedet, bleibt in mir auch diesmal wieder das Gefühl zurück, neben dem Weltstar vor allem auch einem außergewöhnlichen Menschen gegenüber gesessen zu haben.

Auch im darauffolgenden Jahr treffen wir uns wieder, diesmal bei der WM 2006 in Deutschland. Am 1. Juli sind die Franzosen unter der genialer Regie von Zidane, der auch die Vorarbeit zum entscheidenden Treffer von Henry geleistet hat, mit einem 1:0 Erfolg über Brasilien in die Runde der letzten vier Mannschaften eingezogen.

Ich habe glücklicherweise schon lange vor dem Match bei der französischen Presseabteilung um ein Interview mit ihrem umschwärmten Superstar nachgefragt und bin wahrscheinlich auch deshalb der erste TV-Journalist, den Zidane nach dem Duschen im dunklen Team-Anzug in der Interview-Box aufsucht.

Das Folgende ist für mich fast schon vertraut. Ein herzliches Shakehands unter zwei alten Bekannten und dann mehr ein Gespräch als ein Interview vor allem zu den Aussichten der Equipe Tricolore im Halbfinale gegen Portugal, dem großen Königstreffen zwischen Zidane und Ronaldo! Zum Schluss folgt dann noch eine Szene, die ich wohl nie vergessen werde und die nicht nur im ZDF mehrfach gezeigt wird. Als kleines Geschenk bei seiner definitiv letzten WM, nach deren Ende er seine Fußballschuhe zumindest als Spieler an den Nagel hängen wird, habe ich in der ZDF-Grafik um eine Collage von Bildern aus der großen Karriere von Zizou gebeten.

Als ich ihm am Ende des Interviews das gerahmte Bild überreiche, um mich damit für die zahlreichen, keineswegs selbstverständlichen Interviews in den vergangenen Jahren zu bedanken, nimmt er das kleine Kunstwerk gerührt entgegen. Fast verlegen entgegnet er, dass er sich seinerseits auch bei mir bedanken wolle für mein freundliches und stets faires Auftreten, das für ihn im Umgang mit der internationalen Journalistenmeute („la meute des journalistes“, sagt er mit einem ironischen Unterton) durchaus etwas Besonderes sei.

Unterdessen wartet vor der kleinen Pressebox ungeduldig schon der nächste TV-Redakteur auf Frankreichs genialen Spielgestalter, der in diesen Tagen zum ‚beliebtesten Franzosen‘ gewählt wird. Mit einem Lächeln in der Stimme rufe ich ihm nach: „Alors, on va se revoir après la finale!“ (Dann sehen wir uns also nach dem Finale wieder). Zidane schmunzelt, wie nur ein Franzose schmunzeln kann, reckt den Daumen und verschwindet eilig mit seinem Geschenk vor der Brust in der angrenzenden Kabine des französischen Fernsehsenders TF1.

Wie gut, dass Zidane und ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen können, dass die letzte WM des wohl besten Regisseurs aller Zeiten im Berliner Finale enden wird, wie man es sich fürchterlicher eigentlich kaum vorstellen kann.

Das Bild wird jeder Fußballfan sein Leben  lang vor Augen haben. In der Verlängerung des Endspiels muss Zidane aufgrund eines mit zutiefst beleidigenden Worten provozierten Kopfstoßes gegen seinen früheren Turiner Teamkollegen Marco Materazzi zehn Minuten vor dem Abpfiff mit Rot und mit Recht vom Platz gestellt werden. Trotzdem wählt man ihn am Ende des Turniers zum ‚besten Spieler der WM‘, und diese große Geste der internationalen Fachjournalisten sagt viel mehr aus als eine Handvoll schmutziger italienischer Worte.

Das bisher letzte Mal treffen wir uns im November 2011 in einem Hotel in Madrid anlässlich eines längeren Interviews zu seiner mannigfaltigen Karriere und zu seinen Zukunftsplänen bei Real Madrid, das im ZDF von unserer Online-Redaktion komplett ins Netz gestellt wird.

Nach unserem Gespräch zeige ich ihm ein Foto, das der Kameramann vom ZDF-Studio in Paris vor der EM 2004 in Portugal von uns beiden im französischen Trainingslager gemacht hat. Zizou nimmt das Foto, zieht einen Stift aus seiner Jackentasche und schreibt ‚Amitiés‘ unter seinen Namenszug.

Mit ‚In Freundschaft‘ würde man das übersetzen, gekritzelt von Zinédine Zidane, dem großartigen und unvergleichlichen Spielmacher der ‚Equipe Tricolore‘, dem für mich besten und elegantesten Fußballspieler aller Zeiten.

Inzwischen hat sich Zidane im internationalen Fußball auch als Trainer von Real Madrid einen einzigartigen Namen gemacht. Er hat die Königlichen nicht nur vor den Katalanen vom FC Barcelona zur spanischen Meisterschaft geführt, sondern Ende Mai 2018 in Kiew/Ukraine im Finale gegen Liverpool auch zum Gewinn der Champions League, dem dritten nacheinander. Das hat es vorher noch nie gegeben, und ich gebe gerne zu, dass ich auch weit entfernt von Madrid, in meinem ZDF-Redaktionsbüro in Mainz, für Real Madrid immer wieder mitgefiebert habe und auch auf den Trainer Zinédine Zidane ungeheuer stolz bin. ,Amitiés, cher Zizou!’